Samstag, 24. August 2019

23.08.2019 Der Ernst der Lage

Tach, Zusammen.

Der gestrige Tag gehört eindeutig in die Kiste:
Wird nicht mehr gebraucht, kann weg.
Nachdem ich hier im Blog endete,
hatte ich die fantastische Idee, 
mich einfach noch für ein Stündchen hinzulegen.
Der Gatte belegte nämlich erst einmal das Bad,
das Kind konnte ausschlafen
und ich hatte meinen Impftermin erst um 9 Uhr.
Da würde es locker reichen,
um halb acht ins Bad zu gehen.
Gedacht, getan.
Alibihalber ein Buch mitgenommen,
allerdings nicht mal aufgeschlagen.
Wunderbar gedöst.
Um halb acht geduscht und angezogen,
ein Käffchen gezapft und Toast getoastet,
gerade dabei,
denselbigen zu schmieren,
da schellt das Telefon.
Rufnummer unbekannt um Punkt 8 Uhr morgens?
Weia.
Schwiegervattern.
"Mari, ich krieg kaum Luft.
Ich bin seit Tagen so schlapp.
Schwiegermuttern nimmt das nicht ernst.
Aber ich kann einfach nicht mehr..."
 Zu Schwiegermuttern muss man erklärend hinzufügen:
Demenz greift nach ihrem Hirn.
Sie lebt in ihrer kleinen Pipilangstrumpfblase,
fühlt sich in ihrem Alltag pudelwohl,
alles, was darüber hinaus geht,
kann sie nicht ahnen, sehen, begreifen, behalten.
Was jetzt?
Wieso ruft er keinen...
Egal.
"Seid ihr schon angezogen?
Sehr gut.
Steck die Krankenkassenkarte ein.
Ich rufe dir einen Krankenwagen und komme auch zu dir.
Wenn ihr schneller weg seid, egal.
Ich finde euch.
Nimm dein Handy mit.
Und schalte das mal an!"
Als ich dem Rettungsdienst die Adresse sagen soll,
fällt mir die Hausnummer nicht ein.
Besser gesagt: Ich kenne gleich ZWEI Nummern auf dieser Straße.
Eine davon ist richtig, auf der anderen wohnt meine Cousine schon seit Jahren nicht mehr.
Die eine am Anfang, im niedrigen, zweistelligen Bereich,
die andere hat einfach eine Hundert davor.
Eine jahrelange Eselsbrücke wird mir zum Verhängnis,
denn ich kann mich einfach nicht erinnern,
wo die Straße anfängt.
Faire Fifty-Fifty-Chance.
Ich nehme die niedrige Nummer.
Der Mann am anderen Ende der Leitung beruhigt mich
und fragt erst mal nach meiner Handynummer,
zur Sicherheit.
Die kann ich.
Warum habe ich Depp eigentlich vom Festnetz aus angerufen?
Schwamm drüber.
Ich lege auf,
wähle die Nummer des Gatten.
"Welche Hausnummer hat dein Vater????"
"Hundert..."
Verdammt.
Der Notrufmann am anderen Ende der Leitung erkennt meine Nummer,
begrüßt mich mit Namen und tätschelt mir Dummdödel durch's Telefon das Köpfchen.
"Im Eifer des Gefechts kann das passieren..."
und
"Ist doch alles gut gegangen. Rettungsdienst ist unterwegs.".

 Nochmal den Gatten anrufen und ihm die Lage schildern.
 Dann steh ich da, vor meinem halb geschmierten Toast.
Im Hintergrund ist das Kind aufgewacht und hockt auf dem Klo.
Ich stelle mein Frühstück in den Kühlschrank,
entscheidungsfreudiger kann ich gerade nicht sein
und während ich mir die Schuhe anziehe,
trällere dem Kind durch die Klotüre zu:
"Guten Morgen!!!
Gut geschlafen???
Prima.
Ich mach mich jetzt auf den Weg,
weiß nicht, wann ich wieder da bin.
Wir können telefonieren, ok?
Ich stell dir das französische Schokomüsli raus, ja?
 Bis später!!!"
Noch schnell ne Flasche Sprudelwasser greifen
und raus.
Warum soll ich das Kind bekloppt machen?
 Soll er halt noch ein bisschen glauben, ich würde geimpft.
Kaum bin ich auf der Straße,
zücke ich das Handy und sage meinen Termin ab.
Im Stechschritt zu Schwiegervattern.
Unterwegs bin ich besorgt,
aber vor allem wütend.
Ich kann mir nämlich lebhaft vorstellen,
wie er bis 8 Uhr vor dem Telefon sitzt und meint,
vorher könne man ja nirgendwo anrufen.
Das macht man nicht, da macht man anderen Leuten "Umstände".
Jetzt stehe ich ohne Auto da.
Das ganze Drama hätte schon durch sein können.
 Was wäre denn schlimmstenfalls passiert?
Der Gatte wäre vielleicht verspätet oder gar nicht zur Arbeit erschienen.
Stattdessen sitzt er jetzt im Büro, wartet auf Updates
und ich renne durch die Gegend.
Ein Kilometer, bis zu seiner Wohnung.
Als ich um die letzte Ecke biege, sehe ich den Krankenwagen vor der Tür,
Schwiegervattern steigt ein,
Schwiegermuttern steht auf dem Bürgersteig.
Ich renne, um sie noch zu erwischen.
Sie lächelt mir zu,
froh, mich zu sehen und
wirkt wie ein Kind, das sich auf einen Schulausflug freut.
Die Fahrer nehmen nur eine zusätzliche Person mit.
Wir schieben Schwiegermuttern auf den hohen Beifahrersitz.
Sie wird im Krankenhaus niemandem eine Hilfe sein
aber ich kann sie auch nicht einfach hier vor der Türe stehen lassen.
"Hast du einen Haustürschlüssel mit?"
"Ja, ich hab abgeschlossen."
"Gut. Ich komme nach, ich finde Euch im Krankenhaus.
Du wartest da auf mich, ok?"
Zurück, Marsch, Marsch.
Den Gatten informieren.
Wieso nimmst du dir kein Taxi?
Ich habe ehrlich gesagt nicht die Hoffnung,
dass das wesentlich schneller gehen würde.
In der Bäckerei an der Bushaltestelle
kaufe ich ein paar Stütchen
und steige in den erstbesten Bus.
Schwiegermuttern steht vor der Notaufnahme rum.
Man hat ihr gesagt, sie solle hier warten.
Ich frage an der Anmeldung nach,
Schwiegervattern ist irgendwo hinter der Glastüre,
in den Untersuchungsräumen.
Also warten.
Setz' dich!
Kostet dasselbe.
Stütchen?
Schlückchen Sprudel?
Der Wasserspender ist leer aber wir nehmen uns einfach zwei Plastikbecher.
Wasser habe ich dabei...
 Sie erzählt mir, dass sie zum Mittagessen heute mal Reibekuchen machen möchten.
Schwiegervattern reibt immer Kartoffeln,
sie brät.
 Ich sag nix.
Irgendwann wird Schwiegervattern im Rollstuhl an uns vorbei geschoben.
"Wir fahren zum Röntgen.
Sie können schon mal zur Station 3 hoch fahren.
Da kommen wir dann hin."
Dann bin ich mit ihr allein im Fahrstuhl.
"Weißt du, was das bedeutet?"
"Er muss zum Röntgen..."
"Ja. Vermutlich die Lunge.
Aber dass wir zur Station hoch fahren sollen, heißt,
dass sie ihn hier halten werden.
Er kriegt da ein Zimmer..."
Kurzes Entsetzen,
dann:
"Können die doch gar nicht machen!
Der hat doch gar keinen Schlafanzug dabei!"
Lassen wir das.
Sprechen wir über's Mittagessen,
die Kaninchen ihres Bruders,
die Katzen ihrer Tochter
und warten auf Station 3.
Er bekommt ein Bett und einen Schrank zugewiesen,
eine Schwester nimmt diese und jene Angaben,
unter anderem meine Handynummer auf
und ein paar Minuten später,
steht die Ärztin in der Tür.
Ich kenne sie.
Vor mehr als zwei Jahren, war sie Ärztin in der geriatrischen Reha meiner Mom.
Watt'n Zufall.
Und watt'n Glück.
Die Frau hört nämlich zu
und liest zwischen den Zeilen.
Sie bohrt nach und findet heraus,
dass der stolze Herr Schwiegervattern zwar seit JAHREN
über schlimmen Husten und schmerzende Beine jammert,
aber nichts davon bei seiner Hausärztin,
bei der er warumauchimmer ständig rumhängt, angesprochen hat.
"Jaja, der Husten... aber das ist ja nicht das Problem!
Das Problem ist ja, dass ich seit zwei Wochen so schlapp bin und schlecht Luft kriege..."
Da krisse doch die Motten!
 Wie ist der Mann so alt geworden???
Die Ärztin:
"Sie nehmen ein Blutdruckmittel. Eine der bekannten Nebenwirkungen ist Husten.
Sie sehen: Schon ist der Husten doch ein Problem...
Wir werden sie weiter untersuchen.
Noch heute."

Schwiegervattern hat heute morgen schon angefangen, seine Tasche zu packen.
 Ich schreibe mir auf, was noch nicht drin ist.
Dann schau ich auf den Busfahrplan
und hake Schwiegermuttern unter.
Da muss sie jetzt durch.
Sie läuft tapfer bis zur Haltestelle neben mir her.
Es ist schon nach elf, ich rufe das Kind an
und beichte ihm,
wo ich gerade bin.
Dann sage ich seinen Termin für den Pricktest ab.
Schwiegermuttern schmiert uns jedem ein Schnittchen,
wir packen die Tasche fertig.
Mein Handy klingelt.
Das Krankenhaus:
Verdacht auf Lungenembolie,
Ct, dann Überwachungsstation in der ersten Etage.

Schwiegermuttern verschweige ich die Sache mit der Embolie...
Wir kennen beide genügend Leute,
die sie nicht überlebt haben.

Der Gatte fragt immer wieder, ob er kommen soll.
Was würde das bringen?
Wir beschließen, dass ich mir nochmal ansehe, was da im Krankenhaus los ist
und wir dann entscheiden.
Tasche greifen,
Bus hält direkt vor der Türe,
Krankenhaus.

Untersuchungen sind schon durch,
"Die haben mich durch das ganze Krankenhaus geschoben!",
die Ärztin taucht wieder auf.
Der Embolieverdacht hat sich bestätigt.
 Der Plan ist jetzt:
Überwachungsstation und Spritzen bis Montag,
ein Gefäßchirurg soll sich seine Beine ansehen,
ab Montag normale Station und Tabletten statt Spritzen,
wenn das funzt,
kann der Hausarzt übernehmen.
Die Ärztin versucht erneut, ihm ins Gewissen zu reden.
Atemnot ist nichts, was man auf die lange Bank schieben darf!
Geschwollene Knöchel, schmerzende Beine auch nicht!
Ich fürchte, ihm ist trotzdem nicht bewusst,
dass er dem Schnitter von der Schippe gesprungen
und die Gefahr noch lange nicht gebannt ist.
Ich organisiere ihm sein Mittagessen,
packe die Kulturtasche aus.
Es fehlen noch ein paar Kleinigkeiten,
wir verabreden uns für den frühen Abend erneut.
 Das Xte Telefonat mit dem Kind ergibt nun: Hunger!
"Iss den Nachtisch zuerst, es ist Vanilleeis da.
Ich bringe Pizza mit."
Gegen 14:30 Uhr schaufeln wir uns den Magen voll.
30 Minuten komprimierter Mittagsschlaf.
Schwiegermuttern anrufen, das böse Wort Embolie sagen.
Mom anrufen.
Die nächste Tasche packen,
denn das Kind will über's Wochenende zu meiner Cousine
(Die, mit der niedrigen Hausnummer!) verreisen.
Der Gatte macht ein Stündchen eher Schluss,
damit wir nicht hetzen müssen.
Wir fahren zu Schwiegermuttern,
nehmen die Seifendose, einen Apfel, Nagelpfeile und 
was sie sonst noch zusammengekramt hat, mit ins Krankenhaus.
Schwiegervattern liegt verkabelt im viel zu kurzen Bett.
Der Mann ist über einsneunzig.
Ich spreche unterschiedliches Pflegepersonal auf eine Bettverlängerung an,
ob er sie wirklich bekommen hat,
weiß ich nicht.
Sein Abendbrot kommt,
wir kratzen die Kurve.
Der Gatte fährt das Kind in die Voreifel,
ich gönne mir eine ausgiebige Dusche,
schmeiße mein Toastbrot vom Morgen in den Müll,
Rollos auf Halbmast,
Handy und Festnetz griffbereit,
Glotze an,
Vanilleeis.
Gegen 22 Uhr ist der Gatte zurück und löst mich vor der Glotze ab,
ich gehe sofort ins Bett
und schlafe bis halb sieben.

Heute Nachmittag, zur Kaffeezeit,
fahre ich mit Schwiegermuttern ins Krankenhaus.
Einkäufe machen wir irgendwann heute Abend,
mehr haben wir mal vorsichtshalber nicht geplant.


Schöne Zeit!

;O)

Mari

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Dieses Blog ist mit Blogspot erstellt und wird von Google gehostet.
Wenn Du einen Kommentar hinterlassen möchtest, werden außer Deinem Text auch der Zeitpunkt und Dein Nutzername gespeichert und veröffentlicht.
Wählst Du die Funktion „Anonym“, bleibt Dein Nutzerrname unsichtbar.
Ferner wird Deine IP-Adresse von Google aus Sicherheitsgründen mitprotokolliert.
Du kannst hier auch nachfolgende Kommentare abonnieren. Wenn Du diese Funktion durch das Setzen des entsprechenden Häkchens auswählst, erhältst Du eine automatische Bestätigungsmail an Deine angegebene E-Mail-Adresse (Double-Opt-In-Verfahren).
Das Abonnement kannst Du jederzeit beenden.
Mehr Informationen über meinen und Googles Umgang mit Deinen Daten, findest Du über diesem Post in:
MEINE DATENSCHUTZERKLÄRUNG und
WAS GOOGLE ÜBER SICH SAGT.
Wenn Du Hilfe benötigst, stehe ich Dir gerne zur Verfügung.
Schreibe mir einfach eine Mail an: marioenkes.chroniken(at)gmail.com
Solltest Du mit all dem einverstanden sein,
dann hau‘ in die Tasten!
Ich freue mich über Deinen Kommentar!
Schöne Zeit!
;O)
Mari