Freitag, 23. März 2018

Der Rückruf

Hätte ich mich mal etwas früher an den letzten Blogeintrag gesetzt.
Kaum hatte ich ihn veröffentlicht,
schellte das Telefon,
das Warten hatte ein Ende.

...

Im Display steht, dass die Schule anruft.
"Guten Tag, Frau Mariönkes. Hier ist Herr Erprobungsstufenkoordinator.
Sie haben um Rückruf gebeten.
Was kann ich denn für Sie tun?"
Das klingt zaghaft, beinahe ängstlich.
Der Arme.
Weiß gar nicht, was ihn erwartet...
Ich kichere in den Höhrer, denn vor MIR braucht er sich gerade wirklich nicht zu fürchten.
"Ooooch, Herr PraktischerweiseauchderMusiklehrer...
Sie müssen nur meinen Sohn retten,
dann ist alles wieder gut."
Er gibt das Lachen dankbar zurück,
alle mal durchatmen.
"Und wie kriege ich das hin?"

...

Rückblick


Das Kind hat irgendwas.
Er wirkt bedrückt, wenn er aus der Schule kommt.
Nicht so dubbdiedei wie sonst.
Er trägt was mit sich rum.
Ich schiebe das auf die Mathearbeit am letzten Freitag.
Er meint, er hätte die in den Sand gesetzt.
Rückblickend betrachtet, war das dumm.
Er ist noch nicht so weit, dass er sich damit das ganze Wochenende lang
und zum Wochenstart erneut davon runterziehen lassen würde.
Noch funktionert: aus den Augen, aus dem Sinn.
Er trödelt beim Schlafengehen rum.
Will nicht ins Bett, schläft extrem spät ein.
Wir bekommen allabendlich Krach deswegen,
drohen ihm, dass er sich zukünftig wohl noch früher bettfertig machen muss,
damit es nicht so spät wird.
Er kriegt es trotzdem hin, dass er um 22 Uhr noch wach ist,
wenn ich ins Bett gehe.
Mittwochabend ebenso.
Als ich aus dem Bad komme, höre ich ihn im Zimmer schluchzend weinen.
Ich bin ungehalten.
Diese Geheimniskrämerei geht mir gegen den Strich.
Ich schnauze ihn an, frage ihn, was in Herrgottsnamen denn bloß los sei.
Es ist spät!
Verdammt spät!
Und morgen früh ist Schule!
"Warum um alles in der Welt schläfst Du noch nicht?!?"
Er spuckt es mir vor die Füße:
"Ich kann nicht einschlafen!
Ich hab' Angst hier im Zimmer!!!"
"Und warum sagst du dann nichts, sondern sitzt hier allein im Bett rum???
Himmelherrgottnochmal Kind, sprich!"
"Ich kann hier nicht mehr raus, wenn ich einmal im Bett bin!!!
Ich stelle mir vor, hier im Bett ist es sicher!!!
Aber überall höre ich Geräusche und hab' das Gefühl,
jemand ist im Zimmer!!!"
Ich bin ernsthaft erstaunt. Mit elf Jahren? Angst, bis Tränen kommen?
Ist das normal?
Egal.
"Jetzt pack deinen Krempel und schaff' ihn ins Schlafzimmer!
Du schläfst bei mir!
Der Zirkus hier bringt doch niemanden weiter..."
Das Kind fragt vorsichtshalber nochmal nach,
doch der Gatte meint, er würde das schon aushalten, allein im Kinderzimmer schlafen zu müssen.
Er ist ja schon groß.
Bettzeug wandert, der Gatte sagt uns gute Nacht, Licht aus, Tür zu.
"So. Erzähl."
"Was?"
"Was war das da gerade?"
Und dann kommt's raus.

...

"Keine Ahnung.
Auf jeden Fall muss jemand etwas tun, denn das Kind hat sich in eine Lage manövriert,
aus der er allein nicht mehr heraus kommt.
Er schläft schlecht ein, hat Angst in seinem Zimmer und das liegt an einem Horrorspiel,
das einige Klassenkameraden während der Pause auf ihrem Handy spielen."
"Na, DAS ist ja mal interessant zu erfahren. Wissen Sie, was das für ein Spiel ist?"
"Ja. Das heißt Granny, wie die englische Großmutter."
"Ich schreib' mir das mal auf. Wissen Sie auch schon, was das ist?"
"Ich hab' mir heute morgen Screenshots und den Trailer angesehen und ich muss sagen:
ICH würde das nicht spielen! Aber ich bin ja auch ein Schisser.
FSK 16.  Man ist in einem Horrorhaus, wird von Granny dort gefangen gehalten.
Granny ist eine geisterhafte Gestalt, mit weißen Augen.
Sie schleicht einem hinterher. Man muss sich vor ihr verstecken,
sonst erschlägt sie einen mit 'nem Baseballschläger."
"Au weia. Wer spielt das denn?"
"Das weiß ich nicht. Genau das ist ja das Problem.
Das Kind will nicht petzen und jetzt sitzt er zwischen allen Stühlen.
Er will das Spiel aber auch nicht mehr sehen.
Einfach weggehen funktioniert offenbar auch nicht.
2-3 Kinder spielen das in der Pause, die anderen schauen ihnen über die Schulter.
Der Sog der Gruppe und die Faszination des Schreckens ist einfach zu groß.
Ich meine...
... das ist ein Horrorspiel! Und offenbar eines, das sehr gut funktioniert.
Man MUSS da hingucken. Sobald man sich wegdreht, macht einem das Spiel Angst.
Weil er selber zugeguckt und deswegen ein schlechtes Gewissen hat,
konnte er auch erst gestern Abend endlich mit der Sprache rausrücken.
Erst wollte er hier zuhause gar nichts erzählen.
Er wollte die älteren Patenschüler der Klasse ansprechen.
Das geht aber nicht, ohne dass es die anderen mitkriegen.
Und wie hätte er sich rausreden können?
Dann hat er sich überlegt, sich ein neues, cooles Spiel auf sein eigenes Handy zu laden.
Hat ja so'ne Hütehund-Mentalität, das Kind.
Er wollte wenigstens die anderen Kinder damit von der Granny weglocken.
Er fürchtet aber, dass seine Spiele niemals cool genug sein werden.
Da ahnt man, was für eine Dynamik dahinter steckt.
Das dauert doch keine drei Tage mehr, bis der Nächste mit einem noch heftigeren Spiel ankommt.
Nur, damit die ganze Klasse um ihn herum steht..."
"Die Idee mit den Paten ist schon mal super. Die sind in einer ganz anderen Position.
Aber auch die Pausenaufsicht muss das wissen.
Und Sie haben Recht, wir dürfen da nicht länger warten, sondern müssen zügig handeln.
Sind ja bald schon Ferien..."
"Genau. Und dann ist es erstmal zu spät.
Ich meine... Mein Sohn ist ja sicher nicht der Einzige, dem es so geht.
Er ist einer der Ältesten aus dem Jahrgang.
Da sind Kinder bei, die noch fast ein ganzes Jahr jünger sind als er!
Selbst Kinder in der 6., 7., 8. Klasse sind vielleicht zu jung für dieses Spiel.
Es kann ja Horrorspiele spielen, wer mag, doch den Kindern muss klar sein,
dass der Schulhof nicht der richtige Ort dafür ist.
Es ist eben nicht jeder einverstanden, der schweigt. Im Gegenteil.
Sie sind plötzlich als Mitwisser zum Schweigen verdonnert.
Die Kinder können doch niemandem davon erzählen,
ohne das Gesicht zu verlieren und um so ein Geheimnis zu bewahren
und mit sich selbst auszumachen, dafür sind sie einfach noch zu klein.
Deshalb muss jetzt irgendjemand von Außerhalb etwas tun,
damit auch mein Sohn nicht mehr im Kreuzfeuer steht.
Allein kommt er da nunmal nicht mehr raus.
Er war dermaßen erleichtert, als ich ihm sagte, er habe alles richtig gemacht.
Und dass er nun nichts mehr unternehmen muss, weil jetzt andere am Zug sind."
"Frau Mariönkes, wir machen das so: ich habe ja morgen in der Klasse Unterricht.
Da werde ich das Thema ansprechen, nochmal ganz klare Regeln und Verbote aussprechen
und verdeutlichen, dass demjenigen, der sich nicht daran hält, auch noch ganz andere Konsequenzen drohen. Das betrifft ja vermutlich nicht nur diese Klasse, sondern alle Schüler, das werde ich auch so erklären, damit niemand auf die Idee kommt, ich hätte einen Wink bekommen. Vielleicht sage ich, dass sich höhere Jahrgänge beschwert haben, aber wie genau ich das tun werde, weiß ich jetzt noch nicht. Wie schon gesagt: die Idee, die Paten einzusetzen, ist sehr gut. Aber erstmal muss schnell etwas passieren. Es war richtig, anzurufen. Und bitte melden Sie sich, wenn noch irgendetwas nachkommt."


...


Kind kommt nach Hause.
So gar nicht dubbdidei.
Das liegt diesmal aber wirklich an der Mathearbeit.
Die letzte war 1, jetzt eine 4-.
Kind ärgert sich, weil er ja eigentlich alles konnte.
Da muss ich ihm zustimmen.
Ist eben die erste Mathearbeit bei der neuen Mathelehrerin.
Die geht die Sache etwas anders an,
jetzt ham wa auch das gelernt,
nun könn wa uns drauf vorbereiten.
"Ich hab' mit Herrn Dings telefoniert.
Die Grannygeschichte läuft, Hilfe ist unterwegs.
Er lobt auch, dass du den Mund aufgemacht hast.
Wenn du nochmal was siehst, bei dem dir unwohl ist, sollst du dich sofort melden..."
Kind grinst breit übers ganze Gesicht:
"Coooool.... Dann bin ich jetzt also Doppelagent...."
"Was zum.... "
"*gibbelkicherlach*"
"NEIN!"

....


Der Musiklehrer knöpfte sich die Klasse gleich am Donnerstag vor.
(Kind war beeindruckt von der Standpauke.)
Er sprach von Horrorspielen im Allgemeinen und würde darauf kommen, weil er genau wisse,
dass einige Kinder aus der Klasse Granny spielen.
(Kind meint, das hätte den ein oder anderen in leichte Panik versetzt.)
Außerdem wären sie nicht die Einzigen, er würde allen Klassen die Leviten lesen, da auch
höhere Jahrgänge keine Horrorspiele auf dem Schulhof daddeln dürften.
Die Kinder sollen bedenken, dass es eine Aufsicht auf dem Hof gibt und dass sie bei so vielen Schülern und Lehrern niemals wirklich unbeobachtet sind.
Sollte doch noch irgendjemand ein solches Spiel spielen,
wird er denjenigen höchstpersönlich vom Schulhof holen
und die Eltern herzitieren.

....

"In der Pause hat dann niemand mehr Granny gespielt..."
"Und? Hat G. die Granny gleich gelöscht oder nicht?"
"Weiß ich nicht. Der kann ja Zuhause weiterspielen. Darf halt nur nicht mehr auf dem Schulhof..."
"Ja. das ist natürlich ein Problem. Jetzt suchen sie sich vielleicht einfach nur einen anderen Ort, an dem sie ungestört sind. Aber vielleicht müssen dann nicht auch die Kinder davon erfahren, die es gar nicht wissen wollen. Wer waren denn die anderen, die Granny gespielt haben?"
Schockmoment
Groschen fällt
"Ey! Woher weißt du denn überhaupt, dass G. Granny gespielt hat???"

Ach, Kind...
bist du putzig.



Schöne Zeit !

;O)

Mari

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